Ein Auszug aus der Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz

(Erstellt nach den Richtlinien des Expertenstandards)

Definition und Grundgedanken:

Es kann keinen kompletten Standard über sämtliche Dimensionen der Demenz mit ihrer kompletten Tragweite geben, da es zu facettenreich ist. Daher musste man sich im Expertenstandard auf einen wesentlichen Aspekt konzentrieren. Die Entscheidung fiel auf die „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“, da dieser Fokus in Vergessenheit geraten schien und er durch den Entschluss wieder in den Vordergrund gerückt werden soll.

Der Expertenstandard soll nicht der absoluten Vereinheitlichung der Pflege dienen, sondern Signale setzen und ein zu erreichendes Niveau in der Pflege von Menschen mit Demenz darstellen bzw. eine Empfehlung für ein fachlich adäquates Vorgehen geben.

Deshalb geht es im Expertenstandard eher darum, WIE etwas angeboten wird und weniger um das, WAS angeboten wird. Sprich, eher konsequent vom Bedarf und den Bedürfnissen des Menschen mit Demenz ausgehen, als kognitive Kompetenzen oder Herausforderungen in den Vordergrund zu stellen. Das Wesentliche ist die Lebensqualität.

Die Lebensqualität eines Menschen mit Demenz ist eng mit ihren Beziehungen zu anderen Menschen verbunden. Stellt man das Bedürfnis eines Menschen nach Erhalt und Förderung ihrer sozialen und personalen Identität und die Stärkung ihrer eigenen Person durch individuelle Interaktion / Kommunikation in den Mittelpunkt, steigert es die Lebensqualität.

Bei der professionellen Pflege handelt es sich um einen Beziehungs- und Problemlösungsprozess. Eine Beziehungsgestaltung mit therapeutischem Charakter soll ein Kernelement pflegerischen Handelns darstellen.

Eine person-zentrierte Haltung muss in den Köpfen und Herzen der Pflegenden verankert sein / werden. Kennzeichnend für einen person-zentrierten Ansatz in der Pflege ist die Fokussierung auf die Person selbst,- sie wird in den Mittelpunkt gerückt. Für das Beziehungsgeschehen / die Art, mit der Menschen in Kontakt treten, sind wechselseitige Anerkennung, Vertrauen und Respekt wichtige Aspekte. Akzeptanz ist besonders wichtig, wenn Menschen trotz Mängel, Fehler oder Versagen Anerkennung ihrer Person selbst erfahren sollen.

Die Betroffenen sollen in ihrer Einzigartigkeit als Mensch (Individuum) anerkannt werden und nicht mit einer Klassifizierung oder gar Stigmatisierung als Demenzkranker.

Die Herausforderung besteht darin, die soziale und personale Identität zu fördern, zu erhalten und die Menschen in ihrem Person-Sein und ihrer Selbstwirksamkeit zu stärken und zu stabilisieren.

Somit müssen Pflege- und Betreuungskräfte einen Menschen mit Demenz als gleichberechtigtes Gegenüber wahrnehmen und anerkennen. Sie tragen dadurch zur Aufrechterhaltung des Person-Seins bei und erhalten und fördern das Gefühl, gehört, verstanden und angenommen zu werden sowie mit anderen Personen verbunden zu sein.

Die person-zentrierte Pflege ist eine Voraussetzung zur Umsetzung des Expertenstandards. Wichtig ist, den Menschen in soziale Beziehungen einzubinden und ihm als sein eigenes Wesen soziale Anerkennung zu schenken.

In der Beziehungsgestaltung geht es nicht um die Kontrolle oder das Trainieren von korrektem oder sozial wünschenswertem Verhalten. Vielmehr geht es um die Anerkennung der Person, ihres Erlebens und ihrer damit verbundenen Gefühle. Um das Anbieten von Begegnungen (Beziehung braucht einen Gegenüber), um das Erleben von Selbstwirksamkeit oder auch um das Wahrnehmen von kleinsten Verhaltensweisen.

Mangelnde Bedürfnis- und Beziehungsorientierung bei Menschen mit Demenz rufen ein herausfordernd erlebtes Verhalten hervor oder fördern es zumindest. So kann es sein, dass die Fähigkeit, sich zu orientieren, etwas zu verstehen oder beurteilen zu können beeinträchtigt wird und dies wiederum wirkt sich ggf. negativ auf emotionales und soziales Verhalten aus. Es kann zu Unsicherheiten, Ängsten, Rückzug oder einem bindungssuchendem Verhalten (wiederholtes Rufen, etc.) führen.

Daher bilden person-zentrierte, beziehungsgestaltende und -fördernde Maßnahmen eine notwendige Grundlage für eine positive Einflussnahme gegen die Entstehung eines herausfordernd erlebten Verhaltens.

Ziele

  • Menschen mit Demenz sind als gleichwertiges Gegenüber wahrgenommen und anerkannt.
  • Wahrnehmung der Einzigartigkeit des Menschen.
  • Aufrechterhaltung des Person-Seins eines Menschen mit Demenz.
  • Im Mittelpunkt steht nicht die Person-mit-DEMENZ, sondern die PERSON-mit-Demenz.
  • Menschen mit Demenz erhalten Angebote zur Beziehungsgestaltung, die das Gefühlt vermitteln, gehört, verstanden und angenommen zu werden, sowie mit anderen Personen verbunden zu sein.
  • Umsetzung eines individuellen Unterstützungs- und Beziehungsbedarfes.
  • Umsetzung einer person-zentrierten Pflege und Betreuung.
  • Unsere professionelle Pflege ist eine lebensweltorientierte und person-zentrierte Beziehungs-gestaltung / die Pflege hat keine rein funktionelle Ausrichtung.

Allgemeine Maßnahmen / Grundhaltungen:

  • Den Menschen mit Demenz so akzeptieren und anerkennen, wie er ist und nicht versuchen, die Person zu verändern. Jeder Mensch hat das Recht auf Einzigartigkeit.
  • Die Welt aus der Sicht des Menschen mit Demenz betrachten.
  • Nicht nur an den objektiven Bedarfen, sondern auch an den subjektive (persönlichen) Bedürfnissen der Menschen mit Demenz orientieren und danach die Pflege und Betreuung individuell ausrichten.
  • Den Körperausdruck / nonverbale Kommunikation bewusster wahrnehmen und nachvollziehen. So können beispielsweise Ängste, Wünsche oder Schmerzen eher erkannt werden.
  • Bei der Gestaltung individueller beziehungsfördernder und -gestaltender Maßnahmen ist vorher eine gedankliche Verhaltenshypothese anhand erlebter Persönlichkeitsmerkmale zu stellen. Das heißt, dass ein Verhalten (gleich ob positiv oder negativ) erst analysiert / nachvollzogen werden soll, um es zu verstehen und nicht falsch zu interpretieren. Nur so können Unterstützungsbedarfe erfasst und Maßnahmen zur Beziehungsgestaltung adäquat und wirksam sein und Pflegende verhalten sich angemessener, da sie den Menschen mit Demenz besser verstehen.
    • Ein Verhalten kann über verbale und nonverbale Hinweise / Kommunikation seitens des Menschen mit Demenz beobachtet werden.
    • Eine weitere Möglichkeit bietet die ‚soziale Kognition‘. Dabei werden Menschen beobachtet, wie sie Informationen aus der sozialen Realität (dem Umfeld) wahrnehmen, interpretieren, verarbeiten und verwenden. Also, wie sie darauf reagieren und wie das soziale Umfeld ihre Reaktion beeinflusst. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie bewusst oder unbewusst handeln oder ob die Reaktion verbal, nonverbal oder mit Emotionen ausgedrückt wird.

  • Die Therapie gestaltet das Umfeld wahrnehmungs- und beziehungsfördernd. Bewohnerzimmer und öffentliche Räume sind mit von den Bewohnern/innen eigens erstellten Dekorationsarbeiten geschmückt.

Aktivierungsangebote:

  • Sämtliche Aktivierungsangebote stellen bereits eine Umsetzung des person-zentrierten Ansatzes dar. Wichtig ist (wie bereits beschrieben), WIE etwas angeboten wird,- also, wie ein Angebot nach dem Bedürfnis und Bedarf ausgerichtet ist.

  • Der Wochenaktivierungsplan stellt lediglich ein Angebot dar, welches jederzeit angenommen oder abgelehnt werden kann. Pflegende müssen täglich bei der Gestaltung des persönlichen Alltags individuell auf Schwankungen im Demenzleben reagieren und aktuelle Gefühle, Befindlichkeiten und Wünsche in den Mittelpunkt stellen, um ein Höchstmaß an Selbst-/Mitbestimmung zu ermöglichen. So kann an einigen Tagen eine gemeinschaftliche Gruppenaktivität fördernd und anregend sein und an anderen Tagen zu einer Überforderung führen. Gut gemeinte individuelle Alltagspläne müssen so eventuell wieder verworfen und neu geplant werden.

  • Eine besonders geeignete Interventionsmaßnahme (auch für Angehörige) ist die Erinnerungspflege. Erinnerungsfördernde Aktivitäten stärken die Identität des Menschen mit Demenz und damit das Selbstwertgefühl. Die Erinnerungskiste oder vertraute Gegenstände bieten hierfür die einfachste Möglichkeit. Speziell bei Angehörigen wird so die Beziehungspflege gefördert.

Spezielle beziehungsfördernde und -gestaltende Maßnahmen:

Sie muss sich an den Möglichkeiten und Bedürfnissen des Menschen mit Demenz anpassen, z.B. Interaktionen verlangsamen, sich als vertraute Stütze und Bezugsperson anbieten, regionale Mundart verstehen, familiäre Atmosphäre schaffen, Teilhabe am Gemeinschaftsleben ermöglichen, Tagesabläufe gleichmäßig wiederholt und biographieorientiert gestalten, biographieorientierte Milieugestaltung (persönliche Gegenstände im Zimmer). Das Alltagsleben richtet sich nach einer vertrauten, positiven, früheren Lebenswelt.

Durch Unterstützung der Sinneswahrnehmung (Brille, Hörgerät, etc.) helfen, Informationen aus der Umwelt wahrzunehmen. Orientierungsfördernde Kommunikation durch angepasste verbale, nonverbale und paraverbale (Tonhöhe, Lautstärke, Pausen) Art und Weise, z.B. durch / mit: Kommunikation auf Augenhöhe, Techniken wie aktives Zuhören oder Paraphrasieren (Wiedergabe mit eigenen Worten) nutzen, Authentizität ausstrahlen, Geduld und Verständnis zeigen.

Kontakt zu Bezugspersonen schaffen / fördern, um eine Isolation zu vermeiden durch / mit: Kontinuität der Beziehungsarbeit, situationsbezogen auf die subjektive Realität reagieren, Einfühlungsvermögen zeigen, soziale Teilhabe ermöglichen / Begegnungsprozesse schaffen (z.B. Kaffeeklatsch, gemeinsames Treffen im Garten, etc.).

Interaktion mit Angehörige:

Angehörige sind nach ihren Wünschen und Möglichkeiten bei der Pflege und Betreuung einzubeziehen, denn sie sind die wichtigsten Bezugspersonen. Sie sollen informiert, bei Bedarf beraten oder angeleitet werden. Durch eine Beratung können ihnen auch Ängste genommen werden.

Angehörige sind Vertraute des Menschen mit Demenz und geben somit Orientierung, steigern das Wohlbefinden und können mehr Sicherheit gewähren. Die Interaktion mit Angehörigen ist ein Kernpunkt person-zentrierten pflegerischen Handelns.

Sie stellen auch eine wichtige Ressource dar, indem sie Informationen über biografische Hintergründe, zu Gewohnheiten und Wertvorstellungen geben.

Orientierung an den personenzentrierten Ansätzen nach Tom Kitwood:

Bei diesem Ansatz steht nicht die Demenz, sondern die Person im Vordergrund. Der britische Psychologe Tom Kitwood möchte mit seinem Konzept erreichen, dass der Mensch mit Demenz seine einzigartige Persönlichkeit stärkt und erhält.

Er äußerte die Vermutung, dass sich Menschen mit zunehmender Demenz durch Begegnung wieder ein stückweit wiederherstellen, ein wenig Klarheit über sich selbst gewinnen und sich als Person erfahren können. Fehlt ein solches ‚Hilfs-Ich‘ ist vermehrt mit herausforderndem Verhalten und einer schlechten Lebensqualität zu rechnen.

Somit stellt er die Hypothese auf, dass eine personenzentrierte Pflege den Prozess einer Demenz-erkrankung positiv beeinflussen kann. Hierzu hat er 12 Ansätze formuliert, welche die Grundgedanken der personenzentrierten Pflege darstellen.

Tom Kitwood hat auch demenzspezifische Bedürfnisse ausgemacht (Bedürfnisblume):

Liebe, Trost, Identität, Beschäftigung, Einbeziehung, Bindung

Diese Bedürfnisse sind unterschiedlich stark ausgeprägt und sollen befriedigt werden. Laut Kitwood ermöglicht es dem dementiell veränderten Menschen sich so als Person wahrzunehmen und positive Gefühle zu erleben (sich wertvoll und geschätzt zu fühlen).

Die Freiheit eines Menschen wird in den alltäglichen Entscheidungen unter Beweis gestellt.

In der Freiheit hält der Mensch seine Zukunft offen und in ihr bewahrt er seine Würde.

Die Würde eines Menschen muss stets geachtet werden.